Ein Leben mit der EMW R35!
Erste Beiwagenerfahrung: Mit der EMW R35 gegen die Wand!
Es ist mir eine Freude, euch mit meinem ersten Blogbeitrag Hans und seine EMW R35 aus dem Baujahr 1953 vorzustellen. Und das pünktlich zu Ostern! Hans, zum Zeitpunkt der Artikelerstellung 86 Jahre jung, lebt in der Oberlausitz (Sachsen).
Kaum jemand dürfte sein Fahrzeug wohl über eine so lange Zeit ununterbrochen besessen haben! Geschätzt 50.000 bis 60.000 Kilometer ist er mit seinem Schmuckstück gefahren und hat einiges zu erzählen. Auch ein paar spezielle Schraubertipps kommen nicht zu kurz. Nach einer kurzen Einführung lasse ich Hans im O-Ton zu Wort kommen.
Die Geschichte der BMW/EMW R35 in Kurzfassung
Die EMW R35 wurde bereits 1937 durch die Bayerischen Motorenwerke entwickelt. Die Produktion wurde nach Eisenach verlegt. 1940 wurde die Herstellung der BMW R35 eingestellt, da sie den Anforderungen der Wehrmacht nicht mehr entsprach. Nach dem Kriege waren die Werkshallen in Eisenach weitgehend zerstört. Maschinen und Teile für etwa 1.000 BMW R35 wurden jedoch vorsorglich in den Schächten der naheliegenden Kalibergwerke vor den Kriegseinwirkungen geschützt.
Im November 1945 wurde die Produktion für die Reparationsleistungen an die damalige Sowjetunion wieder aufgenommen. Noch immer wurden die R35 mit dem BMW-Logo ausgeliefert. Später wurden die Motorräder auch für die neu entstandenen Behörden und die Jugend-Interessengemeinschaft-Motorsport, ab 1952 Gesellschaft für Sport und Technik (GST) gefertigt. Ab 1952 ging der Betrieb von der sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaft Awtowelo in das volkseigene Motorenwerk Eisenach über. Ab diesem Jahr konnten sie auch privat erworben werden.
In der Nachkriegszeit sind etwa 90.000 BMW/EMW R35 entstanden. Von der Baureihe EMW R35/3 wurden zwischen 1952 und 1955 rund 50.000 bis 66.000 produziert. Genaue Zahlen sind unbekannt. 1955 endete in Eisenach die Ära der EMW-Motorräder. Die Produktion wurde auf PKWs umgestellt. Zweiräder gab es von nun an aus Suhl. Legendär ist aus dem Simson-Werk das letzte Viertakt-Motorrad der damaligen DDR: die AWO 425.
Technik der BMW/EMW R35
Es gab Zeiten, da war Fahrzeugtechnik noch übersichtlich und frei von komplizierter Elektronik. Zeiten, in denen die theoretische Führerscheinausbildung noch Schrauberkenntnisse vermittelte, sind längst vorbei. Die EMW R35 ist eines der Motorräder, die sich mit grundlegenden technischen Kenntnissen gut warten und reparieren lässt.
Bis 1951 musste die R35 ohne eine wirkliche Federung auskommen. Danach verfügte sie über eine Teleskopgabel mit hydraulischer Dämpfung und eine Geradewegfederung hinten.
Motor
- fahrtwindgekühlter Viertakt-Ottomotor mit OHV-Ventilsteuerung, Druckumlaufschmierung und Battteriezündung
- Hubraum: 342 cm³
- Leistung: 14 PS
- Drehmoment: 21,2 Nm
Getriebe
- 4-Gang-Getriebe mit Fuß- oder Handschaltung (letzteres wahlweise ab 1951)
- Einscheibentrockenkupplung
- Kardanantrieb
Sonstiges
- Doppelschleifen-Pressstahlrahmen
- Sitzhöhe 75 cm
- Tankinhalt 12 Liter
- Verbrauch ca 3,5 Liter
- Leergewicht 170 Kg/Gespann 235 Kg (ab 1952)
- Höchstgeschwindigkeit 100 km/h
Hans berichtet: Erlebnisse aus über 60 Jahren mit der EMW R35!
Sein Motorrad besitzt er bereits seit fast 65 Jahren und kennt jede Schraube daran. Eine Werkstatt hat die EMW nie von innen gesehen. Bis zum heutigen Tage hat Hans sein gutes Stück stets fahrbereit in der Garage. Aktuell bereitet er sich auf die neue Saison vor. Noch immer wird der Oldtimer auf kleinen Ausfahrten bewegt.
Meine erste Begegnung mit der EMW R35 hatte ich 1954, als Kollegen des GST-Stützpunktes Waggonbau Görlitz regelmäßig mit mehreren Motorrädern AWO und EMW in die Oberschule Reichenbach kamen, um sie uns vorzustellen, ein Fahrgefühl zu vermitteln und um für die Mitgliedschaft in der GST, Sektion Motorsport zu werben.
Der steinige Weg zum Führerschein
1957 machte ich den Führerschein und fiel bei der ersten praktischen Prüfung durch. Am Straßenrand stand eine EMW mit Beiwagen, das Rad an der Bordsteinkante. Die Maschine sollte im 2. Gang angefahren werden, weil das Getriebe einen Fehler hatte. Auf dem Sozius der Prüfer, im Seitenwagen ein Verkehrspolizist. Auf die Frage, ob ich schon mit Beiwagen gefahren wäre, bejahte ich sofort (das war gelogen), denn ich wollte möglichst bald den Führerschein haben. Also 2. Gang rein, eingekuppelt und ordentlich Gas und sofort ein Knall und ich stand an einer Hausmauer. Der Beiwagen hatte eine krumme Nase und der Verkehrspolizist verabschiedete sich grußlos. Anschließend 2 Stunden Übung auf dem Flugplatz und später die 2. Prüfung. Solo!
Endlich eine eigene EMW R35 und Motorschaden!
1961 ergab sich ein preisgünstiger Kauf eines EMW-Gespanns, Baujahr 1953, aus 2. Hand. Die Heimfahrt auf der früheren F6 erfolgte in großer Aufregung, denn damals war die Straße noch gepflastert und damit in der Straßenmitte höher als an den Seiten. Ich lenkte das Gespann mit übertriebener Kraftanstrengung und fürchtete mich beim Überholen davor, womöglich umzukippen.
Auf der Straße von Bautzen nach Weißenberg überholte ich (zu einem anderen Zeitpunkt) am Flugplatz einen Jeep der Flugplatzwache. Denen wollte ich mal zeigen, was die EMW so drauf hat. Hat so weit auch gut geklappt bis zum nächsten Dorfeingang. Der Motor hatte sich festgefahren und war auch nach längerer Wartezeit nicht bereit, mit mir wieder zu starten.
Ein Moskwitsch-Fahrer bot sich mir an, mich abzuschleppen. Hocherfreut band ich ein Abschleppseil an die Anhängerkupplung des Moskwitsch und auf der anderen Seite an das Gestänge zwischen Motorrad und Beiwagen. Und ab ging die Post im wahrsten Sinne des Wortes, denn der PKW-Fahrer hatte wahrscheinlich vergessen, dass ich ja hinten dranhing. In einer Rechtskurve legte sich das Seil an mein Beiwagenboot und in einer Linkskurve an mein Vorderrad. Gehupt habe ich, bis der Batterie die Luft ausging. Alles ohne Erfolg. In den weiteren Jahren habe ich beim Fahren mit der EMW noch nie so viel Angst gehabt, zu verunglücken, wie auf dieser Fahrt.
Der festgefahrene Motor war für mich die Veranlassung, Motor und das ganze Fahrzeug auseinanderzunehmen und zu überholen. Zu dieser Zeit war es hier äußerst schwierig, einen Betrieb zu finden, um den Zylinder zu schleifen und zu honen. Aber auch das hat geklappt und ich habe meine EMW von innen und außen kennengelernt, was im Ergebnis dazu geführt hat, dass meine EMW noch nie eine Werkstatt gesehen hat.
Es geht auch im 3. Gang!
Eine Fahrt ins Erzgebirge mit einem Kollegen im Beiwagen und reichlich Gepäck an Bord führte mich in Johanngeorgenstadt auf eine Straße in der Nähe des Bahnhofs. Eine sehr steile Straße bis in die Neustadt, was mir erst so richtig bewusst wurde, als sich beim gewollten Runterschalten in den 2. Gang der Nippel vom Kupplungsseil verabschiedete, sodass ich die ganze Anhöhe im 3. Gang bewältigen musste.
Einen Schraubnippel hatte ich natürlich nicht dabei. Meine treue EMW hat auch das überstanden. Vereinbart war, dass mein Mitfahrer, ein Berlin-Roller-Fahrer, die Heimfahrt durchführen wird. Darum habe ich mit ihm auf einem großen Platz, in dessen Mitte ein PKW stand, das Fahren geübt. Mehrere Male fuhr er immer auf den PKW zu und behauptete, das Motorrad zieht nach rechts und lässt sich auch schwer lenken. Aber auch das hat dann, bis auf eine Fahrt in den Straßengraben, geklappt. Auf der Heimfahrt allerdings musste ich ihn in Schwarzenberg absteigen lassen, weil er in einer Rechtskurve mit dem Beiwagen über den Bürgersteig gefahren war.
Abenteuer Urlaub im (Prager) Frühling!
Weil wir noch keinen PKW hatten, haben wir mehrere Urlaubsfahrten mit dem Gespann gemacht. Im Beiwagenboot vorn in der Spitze und hinter dem Sitz Utensilien und auf dem Sitz 2 Kinder. (Später nur noch ein Kind) Die Frau auf dem Sozius und hinten auf dem Beiwagen sowie auf dem Gepäckträger der EMW je ein großer Koffer.
Auf der Heimfahrt von der Autobahn an der Abfahrt Roggosen Straßensperre und Armee. Ausweiskontrolle. Woher, wohin. Und meine Frau sucht ihren Ausweis. In allen Gepäckstücken. Schließlich hatte sie ihn in der Handtasche gefunden. Großes Gelächter bei den Soldaten. Aber nun kam die Verkündung. „Da, wo sie hinwollen, ist Sperrgebiet. Da dürfen wir sie nicht durchlassen.“ Das war 1986, Prager Frühling. Schließlich haben sie uns aber doch fahren lassen. In der Nähe von Bad Muskau gab es plötzlich Aussetzer im Motor. Die wurden dann auch immer schlimmer, aber meine EMW hat uns trotzdem noch gut nach Hause gebracht. Mein Verdacht, dass der Fehler in der Motorsteuerung liegen muss, hat sich anschließend bestätigt, denn in der Steuerkette waren mehrere Rollen kaputt. Das war eben noch für jedermann verständliche Technik!
Den Beiwagen habe ich 1987 verschleudert (heute mindestens 3000 Euro) und meine EMW steht noch heute fahrbereit in der Garage.
Schraubertipps von Hans!
- Wenn das Kickstarter-Auge unterwegs ausbricht und man nun nicht mehr normal starten kann, dann kann man die EMW anschieben, obwohl das manche EMW-Kollegen bestreiten. Man muss beim Anschieben (besser einen Hang suchen) eine solche Geschwindigkeit erreichen, dass der Strom der Lichtmaschine ausreicht, damit der Regler auf Lichtmaschine umschaltet.
- Wenn sich die EMW nicht starten lässt, weil der Akku ausgefallen ist, kann man mit einer Flachbatterie 4,5 Volt den erforderlichen Zündfunken erzeugen.
- Oft sieht man, dass rund um den Tankdeckel Benzin ausgetreten ist. Da braucht man nur das vom Hersteller vorgesehene Sieb einhängen, und das Benzin aus dem Tank erreicht den Deckel von unten nicht mehr.
Ein paar typische Schwächen hat solch ein Oldtimer- Motorrad natürlich auch:
Eine Schwachstelle ist der Rahmen. Ist dieser plastbeschichtet, dann wird ein möglicher kleiner Rahmenriss nicht sichtbar. Bei Beschädigung der Plastschicht dringt Wasser unter die Schicht und führt zu Rost. (Farbe blättert ab)
Strittig ist unter den „Spezialisten“ auch die richtige Überwinterung des Tanks. Wichtig ist, dass keine Luftfeuchtigkeit an die Innenwandungen rankommt. Und das ist nur dann möglich, wenn der Tank über den Winter randvoll mit Benzin (oder auch mit Diesel) gefüllt ist.
Es grüßt euch der Hans!
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